Besuch bei WJAS und auf der Baustelle

Heute ist endlich mein Besuch bei WJAS/WJAR– der Stiftung der freien Frau in Syrien/Rojava- und der Baustelle des neuen Gesundheitszentrums in Qamislo zustande gekommen. Ich habe bereits im November 2019 vor meiner Abreise nach Rojava Kontakt zu den Freund*innen von Avahî aufgenommen, die mir von ihrer Arbeit erzählt haben.

Seit über zwei Jahren bereitet Avahî den Bau eines Gesundheitszentrums für Rojava im Kanton Cizîrê vor – in enger Zusammenarbeit mit derStiftung der freien Frau in Syrien/Rojava (WJAS/WJAR). Avahî ist ein Baukollektiv, dessen ursprüngliche Idee es war, mit den Menschen aus Rojava gemeinsam Bauprojekte zu planen und dann in großen Gruppen kollektiv nach Rojava zu reisen und gemeinsam zu bauen.

2018 konnten 2 Delegationsreisen (Mai 2018 & Oktober 2018) stattfinden, um den Bau vorzubereiten. Doch aufgrund der strengen Einreisebeschränkungen und Auflagen seitens der irakischen Seite der Grenze, die von der KRG- autonomen Region Kurdistan kontrolliert wird, konnten keine weiteren Delegationen realisiert werden. Die Willkür und Unplanbarkeit des Grenzübertritts machten einen strukturierten Bauablauf unmöglich. So musste der Plan geändert werden, der nun von lokalen Arbeiter*innen umgesetzt wird. Denn ein zügiger Baubeginn für das dringend benötigte Gesundheitszentrum erschien wichtiger als die Umsetzung des ursprünglichen Plans einer kollektiven Baustelle mit vielen internationalistischen Freund*innen. (Projektverlauf bis Baubeginn)

Im August 2019 begann der Bau dann endlich- doch aufgrund des Angriffskriegs der Türkei ab Oktober mussten die Bauarbeiten nach kurzer Zeit wieder unterbrochen werden. Die türkische Militärinvasion und Besatzung, das totale Embargo seitens der Türkei, Behinderungen von Lieferungen seitens Damaskus und der KRG, die Schließung der Grenzen legten dem Bauprojekt erhebliche Steine in den Weg. Dazu kam die Corona Krise, die seit März 2020 zu zusätzlichen Einschränkungen (Ausgangssperre, Grenzschließung) geführt hat.

Seit April wird aber wieder auf der Baustelle gearbeitet und es konnte bereits der Rohbau fertiggestellt werden. Nun geht es um den Innenausbau, Fenster, Türen sowie die Wasserversorgung, die durch einen eigenen Brunnen und Tanks auf dem Dach sichergestellt werden soll.

Henna, eine der Leiterinnen der WJAS

Henna, eine der Leiterinnen der WJAS

Wir werden im Zentrum von WJAS von Henna, einer der beiden Leiterinnen der Stiftung, herzlich begrüßt. Die Stiftung wurde 2014 als unabhängige und gemeinnützige Organisation von und für Frauen gegründet. Sie fokussiert auf Stärkung und Unterstützung von Frauen in Nordost Syrien auf wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, politischer, gesundheitlicher und kultureller Ebene und durch Bildung. Dabei macht sie keinen Unterschied, ob es sich um Frauen kurdischer, arabischer, assyrischer, jesidischer, turkmenischer oder anderer Abstammung handelt. Die WJAS arbeitet nach dem Motto, „Die freie Frau ist die Basis einer freien Gesellschaft!“. Kürzlich hat sie ihren Namen dementsprechend geändert von WJAR = Stiftung der Freien Frau in Rojava – zu WJAS = Stiftung der Freien Frau in Syrien, um damit auch die arabischen, assyrischen und turkmenischen Frauen aus allen Gebieten unter Verwaltung der Autonomen Administration mit einzubeziehen.

Aktuell realisiert die Stiftung diverse Projekte für Frauen und Kinder in verschiedenen Kommunen Rojavas: Qamislo, Hasekeh, Derik, Kobane – weitere Projekte in den überwiegend arabischen Gegenden Al Raqqa, Tabqa und Deir-a-zor sind geplant oder werden gerade aufgebaut. Besonders im Fokus steht dabei die Arbeit in Camps. Hena erklärt: „Uns ist die Arbeit in den Camps deshalb besonders wichtig, weil hier die Menschen zusammenkommen die alles verloren haben. Tausende Menschen wurden durch Krieg und Besatzung vertrieben, ihre Häuser wurden zerstört, ihre Familien ermordet. In den Camps gibt es keine Arbeit, wenig Beschäftigung, wenig Hoffnung und es fehlt an grundlegender Versorgung. Ein Fokus liegt auf der medizinsichen Versorgung durch mobile Kliniken und Gesundheitszentren.“

Um den Bedürfnissen der Frauen gerecht zu werden und gezielt auf ihre Situation zuzuschneiden, gehen die Frauen von WJAS von Zelt zu Zelt und sprechen mit den Familien. So können sie Kontakte knüpfen, ihre Angebote bekannt machen und sich genau auf die Situation der Menschen einstellen. Dies ist besonders notwendig in Camps, in denen auch ehemalige IS-Anhänger*innen untergebracht sind. Anfangs, berichtet sie, wurde ihnen auch feindlich begegnet und die Frauen haben Steine auf ihre Einrichtung geworfen. Durch viele Gespräche, Offenheit und Aufklärungsarbeit konnte diese Feindlichkeit überbrückt werden und die meisten ihrer Angebote werden sehr dankbar angenommen. Die Angebote beschränken sich aber nicht auf gesundheitliche Themen. Auch Bildung ist ein wichtiger Pfeiler der Arbeit von WJAS. Schulen für Kinder aber auch Angebote für Erwachsenenbildung, Sprachen (Arabisch, Kurdisch, Englisch), Handarbeitskurse und viel mehr wird angeboten, um die Frauen zu entlasten und zu stärken und ihnen eine Perspektive zu bieten.

Ein weiteres Projekt sind die mobilen Kliniken. Zwei Fahrzeuge inklusive Innenausbau sind bereits finanziert und stehen bereit. Nun fehlt es noch an Medikamenten und medizinischen Geräten und Material. Diesbezüglich hat die Stiftung mit großen Problemen zu kämpfen. Das KRG lässt momentan kaum medizinische Materialien oder Medikamente über die Grenze, die Türkei hat alle Lieferungen gestoppt und auch der Weg über Damaskus ist derzeit geblockt. Seitens der WHO ist mit wenig Support zu rechnen, vor allem nicht was Projekte betrifft, die direkt durch die Selbstverwaltung und sympathisierende Strukturen realisiert werden. Das Sammeln von Spenden, der Einkauf und dann die Logistik, um die grundlegende medizinische Ausstattung der mobilen Klinik zu ermöglichen, wäre in Europa eine schnelle und einfache Angelegenheit. Hier ist sie äußert schwierig, Kraft- und Nervenaufreibend. Aber die Frauen von der Stiftung lassen sich davon nicht abschrecken. Sie planen sogar noch größer: für ganz Nordost Syrien, vor allem aber in den arabischen Gegenden, in denen die Gesundheitsversorgung am lückenhaftesten ist, soll es mobile Kliniken geben!

Şîrin, eine WJAS-Mitarbeiterin auf der Baustelle

Şîrin, eine WJAS-Mitarbeiterin auf der Baustelle

Şîrin, eine Mitarbeiterin im Gesundheitsbereich, fährt mit uns zur Baustelle des Gesundheitszentrums. Das Zentrum ist deswegen so wichtig, weil das öffentliche zivile Krankenhaus Qamislos auf der Seite des Regimes gelandet ist und nicht zur öffentlichen Gesundheitsversorgung der Selbstverwaltung genutzt werden kann. Es gibt private Klinken und spezielle Einrichtungen, aber ein generelles Gesundheitszentrum, in dem eine Basis-Versorgung mit Fokus auf Frauen und Kindern kostenlos angeboten wird, gibt es derzeit nicht und wird dringend benötigt.

Sie strahlt, während sie uns durch die Räume des Rohbaus führt, vorbei an Zementhaufen, Backsteinen, Schubkarren. „Dies hier ist der Raum für Entbindungen. Hier werden nur natürliche Geburten betreut und keine Kaiserschnitte gemacht. Auch das ist ein wichtiges Thema hier, zu dem es Aufklärungskampagnen und Bildungen gibt.“ erklärt Şîrin, „Hier wird die Notaufnahme und Versorgung von Notfällen stattfinden. Das ist das Zimmer für die Kinderärztin und das für Allgemeinmedizin.“

Das medizinische Personal des Zentrums wird weiblich sein. Das ist besonders wichtig, da sich das Angebot an Frauen und Kinder richtet. Deren besonderen Bedürfnissen wird im Gesundheitsbereich oft wenig Aufmerksamkeit geschenkt und gerade bei sensiblen Themen ist eine gute Behandlung nur möglich, wenn eine vertrauensvolle Basis zwischen Patientinnen und dem Team des Zentrums besteht. Eine weitere Besonderheit des Gesundheitszentrums ist die eigene Wasserversorgung. Es wird einen Brunnen mit Wasserpumpe geben, die die Wassertanks des Gebäudes füllt, so dass eine Wasserversorgung auch gewährleistet werden kann, wenn es – wie in letzter Zeit gehäuft – durch türkische Angriffe zu Wasserausfällen kommt.

Die Wassertanks zur Sicherung der Versorgung

Die Wassertanks zur Sicherung der Versorgung

Man kann Şîrin deutlich die Begeisterung für das geplante Gesundheitszentrum ansehen. Sie würde selbst gerne hier arbeiten- da sie Spezialistin für die Koordination der Gesundheitsprojekte ist, wird sie aber vorerst weiter im Aufbau neuer Projekte eingesetzt werden.

Wir sind gespannt, wann das Zentrum seine Türen für die ersten Patientinnen öffnen kann und hoffen dabei sein zu können! Gerade jetzt in Zeiten der andauernden Sorge um einen möglichen Corona-Ausbruch, des Embargos und der Inflation sowie der militärischer Bedrohung durch die Türkei und ihre Proxies ist die Sicherstellung einer medizinischer Grundversorgung insbesondere für Frauen und Kinder wichtiger den je.

Evin Azad

Wenn ihr das Projekt unterstützen wollt, findet ihr hier mehr Infos:

Bauprojekt Gesundheitszentrum

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