Schwierigkeiten und Fortschritte einer Baustelle

Das Projekt avahî – solidarity construction Rojava existiert nun seit drei Jahren. Drei Jahre von der Idee internationalistische Solidarität praktisch werden zu lassen, bis zu der konkreten Bauplanung einer Poliklinik für Rojava in der Demokratischen Föderation Nordsyrien.

Mit der Gründung von avahî begann die Suche nach einer Kooperationspartnerin, welche wir in der Stiftung der Freien Frau in Rojava (WJAR) Ende 2015 gefunden haben. Mit den Frauen der Stiftung in Rojava und in Europa haben seitdem viele Kooperationsgespräche, Diskussionen und Planungen stattgefunden. Dabei ist Vertrauen gewachsen und Verbindungen zur kurdischen Bewegung, auch in Deutschland, wurden geknüpft.

Bei der Planung und Umsetzung der Baustelle legen wir auf drei Ansprüche besonderen Wert.

Kollektivität – Solidarität – Ökologie

Folglich planen wir den Bau kollektiv, in enger Zusammenarbeit mit der Stiftung und der Bewegung, und wollen auch die Baustelle gemeinsam mit Menschen aus Rojava umsetzen. Der zweite Anspruch ist die Organisierung praktischer Solidarität, also ein durch Spendengelder finanzierter Bau, an dem die Aktivist*innen von Avahî unentgeltlich mitarbeiten und ihre Reisekosten selbst tragen. Dabei sehen wir Solidarität natürlich nicht als primär finanzielle Angelegenheit. Ein solidarisches Verhältnis zueinander bedeutet vor allem der Versuch Kämpfe gemeinsam zu führen, sich über Wünsche, Ideen und Ansprüche auszutauschen, gemeinsam neue zu entwickeln und sich auch mal zu kritisieren. So ist der Planungs- und Bauprozess auch eine Auseinandersetzung mit den Ideen des demokratischen Konföderalismus, sowie ein Lernfeld für die Entwicklung gemeinsamer internationalistischer Projekte und Kämpfe. Der dritte Anspruch ist eine ökologische Bauweise, bei der wir den traditionellen Baustoff Lehm integrieren werden, der regional verfügbar ist.

Innerhalb der Entwicklung des Projektes gab und gibt es viele Hürden zu überwinden, Pläne und organisatorische Belange werden an die sich ständig ändernden Gegebenheiten vor Ort angepasst. Auf Wunsch der Selbstverwaltung und in Anbetracht des Bedarfs der Menschen entwickelte sich so aus der Idee eines Gemeinschaftszentrums die Bauplanung für eine Poliklinik für Frauen und Kinder. Für diese Poliklinik haben wir bis Mitte August mit einem Bauplatz geplant, der nun aber kurzfristig geändert werden musste. Es sollte ein Rohbau, der vor dem Krieg als Moschee geplant war, zum Bau der Poliklinik genutzt werden. Dieser Plan wurde vom Eigentümer des Grundstücks, den Kommissionen für Religion und Gesundheit und der Stiftung der freien Frau Rojavas (WJAR) unterstützt. Allerdings gab es innerhalb der in der Region lebenden Menschen Uneinigkeit, ob ein für religiöse Nutzung vorgesehenes Gebäude, für andere Zwecke umgewidmet werden kann. Im August 2018 ist der Eigentümer des Grundstücks, der das Projekt immer befürwortet hatte, leider verstorben. Seine Söhne, als formale Erben des Grundstücks, sprachen sich dafür aus, doch die ursprünglich geplante Moschee zu bauen. Schließlich haben wir gemeinsam mit den Strukturen vor Ort entschieden, die Poliklinik auf einem anderen Grundstück der Gemeinde zu bauen. Für uns bedeutet diese Wendung eine erneute Planungs- und Bauzeichnungsphase, sowie eine weitere zeitliche Verschiebung der Kollektivbaustelle.

Dennoch ist diese Wendung Beweis für die Teilhabe aller Menschen in Rojava an der Selbstverwaltung, in jedem Schritt der Entscheidungsprozesse. Auch wenn sie unseren Bau verlangsamen, sollten gesellschaftliche Uneinigkeiten zu Eigentumsrechten und religiösen Gefühlen nicht übergangen werden. Schließlich wollen wir nicht bloß ein Haus bauen, sondern am Aufbau einer freien Gesellschaft mitwirken. Diese Konflikte sind Teil eines solidarischen Prozesses.

Die bisher größten Schwierigkeiten, mit denen wir zu kämpfen haben, sind nicht mit dem Wechsel des Baugrunds verknüpft, sondern resultieren aus der feindlichen Haltung regionaler und internationaler Akteure und Staaten gegenüber der Selbstverwaltung in Rojava. Die (Grenz-)Politik der Autonomen Region Südkurdistan (Nordirak), sowie die fortwährenden Angriffe der Türkei (Besetzung Afrins, Bombardements in Sengal und vielen weiteren Gebieten im Nordirak und Nordosten Syriens) erschweren eine Stabilisierung der Region seit Jahren enorm. Dies verhindert auch immer wieder unsere Einreise. Während die Kräfte der Selbstverteidigung große Fortschritte im Kampf gegen Daesch (dem sog. Islamischen Staat) machen und die zivilen Räte durch ein Vorantreiben der Selbstverwaltung, und den Wiederaufbau von Infrastruktur sowie Verhandlungen mit anderen lokalen und internationalen Akteuren, alles versuchen um die als sicherste Region Syriens geltende Demokratische Föderation weiter zu stabilisieren, versuchen unterschiedliche feindliche Akteure immer wieder, genau diese Erfolge zunichte zu machen. Dass es uns in drei Jahren erst einmal möglich war, für die Bauvorbereitung einzureisen, ist in diesem Kontext zu sehen. Trotz dessen werden wir erneut versuchen mit kleineren Gruppen einzureisen, um den Baubeginn zusammen mit der Stiftung zu organisieren. Außerdem wird die weitere Planung vor Ort und in Deutschland vorangetrieben und die Spendenkampagne, sowie Informationsveranstaltungen weitergeführt.

avahî ist als politisches Solidaritätsprojekt entstanden und wird durch die Unterstützung von vielen Freund*innen und Genoss*innen, sowie der unermüdlichen Arbeit vieler Aktivist*innen weiterhin einen Beitrag zum Kampf für eine freie Gesellschaft in Rojava und darüber hinaus leisten.